Monat: Juni 2020

In Moskau

Im Sommer 1988 war ich mit J. für drei Wochen in Moskau. Wir wohnten in einem Außenbezirk, fünfstöckige gemauerte Häuser, im Hof saßen die Leute unter den Bäumen und spielten Schach.

Der Sommer war heiß. Auf der Straße wurde der Kwas aus Tankwagen verkauft. Die Männer trugen in Wassereimern dünnes Bier nach Hause. Überall gab es Getränkeautomaten mit kaltem Wasser. Ohne Geschmack kostete es eine Kopeke, mit Geschmack drei Kopeken. Das Wasser floss in ein dickwandiges Glas, das man ausspülte und nach dem Trinken wieder in den Automaten zurückstellte. Alle tranken aus demselben Glas.

Die Kaufhalle im Wohngebiet war fast leer. Bis auf ein paar Gläser mit eingelegtem Kohl gab nichts zu kaufen. Sie hatten mit den Gläsern die Regale gefüllt, alle dreißig Zentimeter stand eins.

Vor der Kaufhalle waren Stände, an denen Schmorgurken, Tomaten und Zwiebeln verkauft wurden. Das aßen wir jeden Tag. Jeden Abend schmorte das Gemüse in der Pfanne in der kleinen Küche der Wohnung. Das Gemüse war von der vielen Sonne überreif, die Tomaten schmeckten süß. Es war himmlisch.

Es gab in Moskau nichts zu essen, aber es gab viel zu lesen. Am Zeitungskiosk hatten sie fünf verschiedene Schachzeitungen. Eine davon erschien wöchentlich als gefalteter Zeitungsbogen, den man erst aufschneiden musste. In einem Kulturpalast wurde die 55. UdSSR-Meisterschaft ausgespielt. Anatoli Karpow und Garri Kasparow waren beide da und setzten ihren epischen Zweikampf fort. Die Zuschauer hatten ein Steckschach auf den Knien und analysierten die Partien. Es gab Anstecker mit den Protagonisten, fast wie im Westen. Es war sehr aufregend.

Heute Vormittag war ich bei den polnischen Gemüsehändlern auf dem Markt und habe Tomaten, Schmorgurken und Zwiebeln gekauft.

#166

Ich habe gegen Peter Swidler simultan gespielt und anschließend ist er kurz unsere Partie durchgegangen und hat mein Spiel gelobt und mehr kann man im Leben nicht erreichen.

#165

Die Ortsnamen aus den ukrainischen Asylakten nachschlagen. Auf den Fotos aus Google Maps am Ufer des Dnepr stehen. Unsere Vorfahren haben im ganzen Land eine Blutspur hinterlassen. Jetzt sind wir wieder hier und sie sind bei uns. Seltsames Gefühl.