Monat: Mai 2018

#092

Mitgemeint

Ziemlich zum Anfang unseres Schwedischkurses hatten wir Berufsbezeichnungen. Wir übten wegen der lautlichen Nähe besonders die Unterscheidung von

en läkare = ein Arzt
en lärare = ein Lehrer

und ich fragte, was denn eigentlich die Lehrerin heißen würde. Unser (muttersprachlicher) Schwedischlehrer guckte mich etwas verblüfft an, ehe er verstand, was ich meinte. So ein Wort gebe es nicht, auch die Lehrerin sei en lärare, wenn man hervorheben wolle, dass es sich um eine weibliche Person handele, könne man vielleicht en kvinnlig lärare sagen, bei einer männlichen Person en manlig lärare.

Die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit stellt sich in der schwedischen Sprache an dieser Stelle nicht [1]. Schwedisch kennt nur zwei Genera: Utrum und Neutrum (unbelebt). Deutsch hat Maskulinum, Femininum und Neutrum. Wahrscheinlich entsteht deshalb ein Problem.

Im Singular lässt sich das Geschlecht gut markieren: die Lehrerin, der Lehrer. Aber welches natürliche Geschlecht haben die Lehrer? Sind das nur Männer? Oder auch Frauen?

Die Antwort ist eigentlich klar: Wir wissen es nicht. Es handelt sich um die Pluralform eines Maskulinums. Es sind Menschen, die den Lehrerberuf ausüben, und zwar völlig unabhängig von ihrem natürlichen Geschlecht. Genus und Sexus müssen sich in der deutschen Sprache nicht entsprechen. Ein Mädchen ist weiblich, obwohl das Wort grammatikalisch betrachtet sächlich ist. Eine Person kann auch ein Mann sein, obwohl es sich um ein Femininum handelt. Niemand würde auf die Idee kommen, dass die weibliche Pluralform die Personen keine Männer meinen könnte. Im Bus saßen fünf Personen – allein aus diesem Satz können wir keine Rückschlüsse auf ihren Sexus ziehen.

Deshalb habe ich Probleme mit der Formel vom mitgemeint sein. Diese setzt unausgesprochen voraus, dass das generische Maskulinum in erster Linie Männer und in zweiter Linie auch Frauen (mit-)meint. Das finde ich falsch. Das generische Maskulinum ist ein grammatikalisches Konstrukt, kein biologisches. Es meint alle Personen mit der jeweiligen Zuschreibung, vollkommen unabhängig vom biologischen Geschlecht [2].

Möglicherweise entsteht das Problem dadurch, dass an die Sprache die Erwartung herangetragen wird, dass sich Genus und Sexus entsprechen müssen. Doppelnennungen (Lehrerinnen und Lehrer) erzeugen erst die Vorstellung, dass die Lehrer nur männliche Lehrer sein können [3]. Letztlich ist das eine Umdefinition der deutschen Grammatik. In dem Maße, wie sich in der Lebenswirklichkeit eine geschlechtergerechte Verteilung von Arbeit durchsetzen wird, wird sich aber vielleicht auch das Sprachverständnis in dem Sinne anpassen, dass wir bei Chefärzten nicht mehr nur an Männer denken.

Anmerkungen

[1] Die bemerkenswert erfolgreiche Neuschöpfung des geschlechtsneutralen Personalpronomens hen liegt auf einer anderen Ebene. Hen tritt neben han = er und hon = sie. Das erlaubt zum Beispiel Vad söt hen är! = Wie süß er/sie ist!, wenn man nicht weiß, welches Geschlecht das Baby im Kinderwagen hat. Hen funktioniert wahrscheinlich deshalb so gut, weil es sich organisch in die vorhandene Wortfamilie einfügt und ein Vorbild im Finnischen (hän) hat.

[2] Intersexualität ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Genus und Sexus nicht deckungsgleich sein können.

[3] Antje Schrupp weist darauf hin, dass man bei Annahme eines generischen Maskulinums keine grammatikalische Möglichkeit hat, über Männer zu sprechen. Man muss sich in der Tat mit Konstruktionen wie die männlichen Lehrer der Schule behelfen, wenn es darauf mal ankommt.

#091

Wenn ich darüber nachdenke, was mich am Fußball faszinierte, war es nicht das Spiel selbst. Das Spiel ist vergleichsweise kurz, nicht besonders komplex und nur selten spannend oder schön. Faszinierend war, was neben dem Spiel passierte: die Erwartung, die Vorbereitung, die Fahrt zum Stadion, der Platz, die Stufen, die Tribüne, das Singen, die anderen Zuschauer, das Geschrei, die Erleichterung danach oder die Verzweiflung und die Fahrt zurück, die Nachbesprechung. Allmählich entstand die Erkenntnis, dass es auf Dauer nicht gesund für mich ist, meine Stimmung an das Abschneiden einer Fußballmannschaft zu binden, auf die mich Herkunft, Wohnort oder plötzliche Liebe geworfen hatten. Seitdem geht es besser. Es muss so etwas wie Freundschaft sein oder Sympathie oder Interesse, und nicht bedingungslose Treue.

– Kommentar zu Libralop Hulot

In einem Juni

Als wir nach Gahlkow fuhren, musste ich plötzlich an Sommersonnenwende denken, an Mittsommer, an die kürzeste Nacht des Jahres. Wir saßen am Strand, um ein Feuer herum, ich weiß nicht mehr genau, und warteten darauf, dass die Sonne endlich aufging. Auf der Rückfahrt kletterte M. erst auf die Motorhaube und dann auf das Dach des kleines Autos und wir fuhren ganz vorsichtig die schmale Allee hinunter bis hin zur großen Straße, währenddessen es zwischen den Bäumen langsam heller wurde.