Monat: Juni 2012

Im Frühling

Wir waren nach Wieck gelaufen und dann mit dem Schiff (einer uralten Hiddenseefähre, die auf dem Ryck ihr Gnadenbrot bekommt) zurückgefahren. Am Stadthafen stießen wir überraschend auf eine Maikundgebung. Sie hatten Tische und Bänke aufgestellt. Es gab Musik und einen Büchertisch mit DDR-Literatur. Der Grill war schon in Gang und die Leute saßen in der Sonne und aßen. Die Vorsitzende, die Landtagsabgeordnete, der arbeitslose kommunistische Physiker und viele Rentner. Es war fast schon andächtig ruhig und sah so aus, als ob die Arbeiterbewegung an ein Ende gekommen wäre.

Ein Traum wurde wahr, als die Clowns mich in die Zirkusmanege holten. Ich hatte mich extra in die letzte Reihe gesetzt, aber es waren nicht sehr viele Zuschauer in der Vorstellung. Sie wollten vier kräftige junge Männer und als sie das sagten, war mir klar, dass sie mich gleich herauswinken würden. Vier Leute, sie würden uns also ineinander verknoten und dann die Hocker unter dem Hintern wegziehen, diese Nummer, die es in jedem Zirkus gibt. Die Clowns waren freundlich, fast warmherzig. Die Manege roch angenehm nach trockenem Gras und den Tieren. Für einen Moment gehörten wir zusammen, in dieser kleinen Stadt, auf der Festwiese an der Umgehungsstraße, unter der roten Zeltplane mit den Sternen.

Als der alte Mann im Einwohnermeldeamt sagte, so ein Personalausweis wäre zehn Jahre gültig und es wäre der letzte, den er sich holen müsse.

Dinge zum ersten Mal tun: Eine Fahne tragen, eine isländische Soul-Band hören, in einer Partei sein, im Stadion eine Tapete halten, sich für eine deutsche Meisterschaft qualifizieren, sich Sorgen um die Entwicklung des Benzinpreises und der Wechselkurse machen.

Überflüssige Informationen: Auf den Färöer gibt es einen öffentlichen Nahverkehr mit Hubschraubern. In Tórshavn sind die Stadtbusse kostenlos. Die Norröna hat 2011 wieder Gewinn gemacht. Im Juni gibt es nur 18 Regentage.

Jena war so klein, dass der ICE auf beiden Seiten aus der Stadt herausragte.

Traum IV

Ein Freund, den ich sehr selten sehe, fährt neuerdings mit einem gehäkelten Krokodil durch die Welt. Das Krokodil hat ein großes Maul, ist so groß wie ein Handschuh und sehr friedlich. Ich kenne es aus dem Blog des Freundes, wo es manchmal auf Fotos an den verschiedensten Orten auftaucht.

Neulich traf ich das Krokodil. Es lag auf dem Hof im Gras. Der Freund musste es vergessen haben, obwohl ich ihn an diesem Tag gar nicht bei mir, sondern nur in der Stadt getroffen hatte, auf der Durchreise, zu einem kurzen Tee, fast schon auf dem Rückweg zum Bahnhof, das Krokodil hatte mir auf dem Bahnsteig noch zugewunken. Vielleicht wurde das Krokodil über die Mauer geworfen? Egal, der Rasen war feucht und das Wetter unbeständig, also holte ich das Krokodil in die Wohnung, legte es auf den Küchenschrank und vergaß es dort.

Einige Tage später war das Krokodil weitergereist. Ich sah es mit einem kleinen Floß in Richtung Seeufer fahren, auf dem Blog des Freundes. Das Floß hatte ein Segel aus Pappe. Das Krokodil sah glücklich aus.

Im Fotogeschäft

Ich solle nur reinkommen, vier Bilder neun achtzig, gleich zum Mitnehmen, sofort fertig, alles nach Vorschrift und biometrisch, man sehe den Leuten schon in der Tür an, was sie wollten. Nein, er entwickle keine Rollfilme mehr, höchstens mal für die Studenten vom Kunstinstitut, die hätten das noch in der Ausbildung, richtig mit Platten und so. Ob ich denn ein Künstler sei? Die Zeit sei vorbei, das lohne sich nicht mehr, kein Mensch bringe noch Filme ins Labor, die Maschinen, die Chemikalien, alles werde teurer und die Chemikalien kippten so schnell um, wenn man sie nicht benutze, schwarz-weiß ginge ja noch von den Kosten her, aber Farbentwicklung sei ganz schlecht. Nein, auch kein schwarz-weiß mehr. Der Markt breche zusammen, jetzt gerade in diesem Moment, in diesen Wochen, die analoge Epoche sei am Ende und wenn die Maschine das nächste Mal kaputt sei, ginge sie auf den Müll und dann sei endgültig Schluss. Und meinen Apparat könne ich am besten auch gleich wegschmeißen.